Coco unter den Randonneuren

Donnerstag, 26. August 2010

HBKH: Hamburg-Berlin-Köln-Hamburg – 1.527 km

Eine kleine Deutschlandrundfahrt, ja, da will ich mitmachen.

Kein BRM? Was soll´s.

1527 km - das verspricht: viele flache Kilometer, aber auch Harz und Sauerland.

Und dann lese ich so etwas:

"Hm, seit Samstag sehe ich eher rot. Bin mit Jan und einem weiteren Bekannten (kein HBKH-Aspirant) die Abschnitte T4 und T5 abgeradelt, die gegenüber der letzten Austragung quasi unverändert sind. Ich frage mich ernsthaft, was 2006er-Teilnehmer treibt, das nochmals auf sich zu nehmen."

Was soll ich davon halten?
Jungs, haltet mal den Ball flach. Bei Euch geht´s doch höchstens darum, dass Ihr 10 Minuten länger für die Strecke braucht als geplant. Macht Euch mal nicht in die Hosen.

Ernsthaft Sorgen habe ich mir nicht gemacht, gespannt war ich. Wie steil werden die Anstiege? Wie anstrengend wird die Tour? Wird das rechte Knie alles mitmachen? Soll ich es tapen oder nicht?

Der Rest war klar:
Garderobe, Riegel, Pulver für die Strecke bis Messinghausen; für Messinghausen einen Stapel für die Schleife nach Herkenrath und einen Stapel für die Rückfahrt nach Großhansdorf.

Anreise am Freitag im Mannschaftsbus ab Köln, eine super Idee. Zunächst unvorstellbar, wie alle Räder da reinpassen sollten, aber es klappte. Auch für ein Liegerad gab es ausreichend Platz!

In Großhansdorf dann einchecken. Und direkt mal der erste Vorteil, als eine von vier Frauen teilzunehmen: Andrea kommt auf mich zu und spricht mich gleich mit „Du bist Corinna“ an, richtig. So bekomme ich das T-Shirt, das Stempelbuch, die Rahmenschildchen und die Streckenbeschreibung. Johann steht weiter in der Schlange an.

Anschließend Nachtlager fertig machen, Pastaparty, Pläuschchen halten und richtig früh verschwinden. Ohne Ohrenstöpsel hätte ich vermutlich keine Minute geschlafen. Schnarchende Randonneure, eifrige Helfer - es war einfach verdammt unruhig. Bereits um 03:00 Uhr klingelten die ersten Wecker - klapperndes Geschirr, Tische wurden eingedeckt. Das Frühstück wird vorbereitet - für 04:30 Uhr erst hatten wir unseren Wecker gestellt. Ab zum Frühstück und um kurz vor 6:00 Uhr raus auf die Straße in den Regen, na klasse.

Samstag, 14.08.: Getröte und Rasseln zum Start, mit Begleitwagen raus Richtung Berlin. Im Vergleich zu LEL ein übersichtliches Fahrerfeld, es sind nur 63 Teilnehmer. Einige sind direkt verschwunden, andere sieht man immer wieder um sich rum. Ein Streckenposten sorgt an einer Stelle dafür, dass alle auf dem Radweg fahren und gibt einen Hinweis zur nächsten Kurve, sehr gut.

In Lauenburg rollen wir als große Gruppe ein, es ist zu erkennen, dass es bergab geht, und was passiert? Die Jungs hören auf zu treten. Sorry, aber ich habe noch ein paar Kilometer vor mir und will weiter. Also raus aus dem Windschatten, vorbei an der Truppe und ab da dann zu zweit durch die Landschaft. Bei Kilometer 70 etwa kommt Stefan von hinten ran, er hat die Führungsgruppe wegen eines Plattens verloren. Dann streikte auch noch seine Luftpumpe und so bekommt er Johanns geliehen. Wir fahren einige Kilometer gemeinsam, Stefan pumpt nach, kauft eine neue Pumpe und holt uns auch wieder ein und Johann hat seine Luftpumpe wieder. Und Stefan ist weg. Logo. Und dabei haben wir um 10:00 Uhr schon 118 km geschafft, wir waren wirklich nicht langsam.

Erste Zwischen-Kontrolle in Wittenberge bei km 157, erster Platten von Johann 2 km vor Nauen, und erste Haupt-Kontrolle in Nauen bei km 272 – um 16:04 Uhr. Wow, ein 27er Bruttoschnitt, aber es ist klar, dass es so nicht weitergeht. Süppchen und Reibekuchen essen, Lars (vom HBKH-Team) pflegt die Ketten. Ich wechsel die Hose.

Eine Stunde später geht´s weiter. Nächste Zwischen-Kontrolle bei km 343 um 20:10 Uhr in Schopsdorf an der Tankstelle. Bis 04:50 Uhr hätten wir Zeit, also ein gutes Polster für die erste Nacht. Um 21:16 Uhr nimmt uns eine Sparkasse in Empfang, Jalousien zugedreht, Schlafsäcke raus und gute Nacht bis 03:43 Uhr. Ungestört!

Sonntag, 15.08.: Das Heimatmuseum von Ditfurt ruft zur 2. Haupt-Kontrolle bei km 460. Um 07:53 Uhr begrüßen wir Gaby, duschen, frühstücken und machen uns um 09:19 Uhr wieder auf den Weg. Es regnet. Um 13:25 Uhr ist es in Walkenried gerade mal trocken, wir machen Picknick an einer Treppe und auch Gaby hält für einen kurzen Plausch an. Käsebrot mit Banane, Eiskaffee und weiter um 13:45 Uhr. Eine halbe Stunde später die nächste Pause: Pannenpause. Johann wechselt hinten Schlauch und Mantel, um 14:39 Uhr geht´s weiter. Bis zur Zwischen-Kontrolle in Lütgenrode bei km 607. Pause an der Tankstelle von 17:20 – 17:55 Uhr. Im Regen durch den Harz zu radeln, das war schon sehr schön. Nur schade um die Abfahrten, die waren kalt und die Bremsen griffen nicht wie gewünscht. Einige Höhenmeter haben wir gesammelt, Quedlinburg ohne Besichtigungstour durchfahren, extrem boshafte Autofahrer mit Northeimer Kennzeichen kennengelernt und hoffen, dass es das jetzt mit dem Kopfsteinpflaster war.

Noch 133 km bis zur 3. Hauptkontrolle im Schützenhaus in Messinghausen. Die Strecke verläuft mitten durch Warburg und wir sehen zwei bekannte Gestalten auf Stühlen sitzen: Mario und Kalle vor der Döner-Bude mit einem Wiederbelebungs-Getränk, Peter kommt raus mit nem Döner, jawoll, kann ich verstehen. Bis ich den auf hätte, würde die Pause zu lange dauern und ich bin mir auch nicht ganz sicher, wie ich den vertragen würde. Also einen Oat-Snack und weiter. Wir fahren Richtung Diemel, auf einmal sehe ich Johann nicht mehr, ich sehe gar nichts mehr. Es geht in einer Rechtskurve steil bergab, meine Lampe an der rechten Achse sorgt für ein schwarzes Loch. Johann ruft, ich solle oben bleiben – danke, die Lösung gefällt mir am besten. Oben studieren wir Navi und Streckenbeschreibung und da rollen auch die anderen drei Jungs heran. Beratschlagen und gemeinsam außen rum zum Weg an der Diemel, wir fahren an der Abfahrt vorbei. Kurzer sanitärer Zwischenhalt, wir lassen die drei ziehen, rollen kurze Zeit später weiter, über die Diemel rüber, und wundern uns auf dem folgenden Radweg, wo die Jungs geblieben sind. Wenigstens die Rücklichter müssten zu sehen sein. Und dann – eine Wand. Zum Glück habe ich gerade noch rechtzeitig zum Schalten gesehen, dass es bergauf geht. Ist das steil, und das nimmt überhaupt kein Ende. Es heißt für mich jetzt „Kämpfen bis zum Umfallen“ oder bis irgendwo das „Oben“ erreicht ist. Stehenbleiben und weiterschieben geht nicht. Ich kann nicht mehr, wann wird es denn endlich wieder flacher? Der Tacho ist dunkel, ich kann noch nicht einmal erkennen, wieviel Prozent diese Steigung hat, verdammt. Irgendwann kommt die Erlösung, ich bin durch, platt, fertig. Und dann kommen die drei Jungs ganz gemütlich von links angerollt, hääääh? Scherz von Axel im Track, oder wie? Jetzt weiß ich wenigstens, wie sich 18 % anfühlen. Zu fünft geht es auf der Landstraße weiter, ich muss mich erstmal was erholen. Irgendwann sind wir dann doch wieder nur zu zweit. Uns kommt ein Polizeiwagen entgegen, dem Mario später dann erklären durfte, was wir da so treiben. Endlich sind wir um 01:09 Uhr in Messinghausen, diesen Anstieg erspare ich mir. Ich muss die Knie nicht unnötig quälen, also hochschieben. Essen, duschen und schlafen – mit Ohrenstöpseln richtig gut.

Montag, 16.08.: Kurz nach 7 Uhr, Gaby sitzt am Tisch und hat mit HBKH abgeschlossen. Ne, oder? Doch. Mit schmerzendem Knöchel lässt es sich schlecht treten. Keine Ahnung warum, aber der Knöchel ist rot-blau. Wie ärgerlich. Weitere Neuigkeiten: Peter hat den Weckdienst für den Morgen abbestellt, nicht zu fassen. Kalle macht sich mit Jos und Frank auf den Weg, Mario weiß noch nicht so recht wie der Tag verlaufen soll. Er startet nach den anderen und kommt während unseres Frühstücks auch schon wieder zurück: er bricht ab, weil ein Knie streikt. Was ist hier los? Joachim will gegen 12 Uhr los, für die 200 km bis zur nächsten Hauptkontrolle in Herkenrath hätte er dann noch 25 Stunden Zeit, für die komplette Schleife wieder zurück nach Messinghausen 40 Stunden. Das sollte klappen.

Wir starten um 08:26 Uhr. Die anspruchsvollste Etappe, das war klar. Den Beginn kannten wir von unserer Rückfahrt vom Fleche. Es dauert nicht lange, da kommt uns Jan entgegen. Er hat uns fast 400 km voraus! In Fredeburg machen wir von 11:23 – 11:50 Uhr eine Pause für einen erneuten Mantelwechsel bei Johann. Der vorherige Mantel bekam eine Delle und das Hinterrad lief unrund. Somit ist ein weiterer unplanmäßiger Stopp angesagt, geschickterweise bei einem Fahrradgeschäft. Der Inhaber ist mir aber gewaltig auf die Nerven gegangen mit seinem Fachwissen „Wenn die Pumpe 8 Bar zeigt, heißt das nicht, dass Sie 8 Bar im Reifen haben…“, „Bohren Sie doch die Ventillöcher in der Felge auf, dann können Sie auch normale Ventile benutzen“ und wir wollten bis zum Ende keinen Ventiladapter benutzen oder kaufen. Grrrr. Ich beruhige mich mit Mini-Salamis in der Zeit. Zwischen-Kontrolle um 15:25 Uhr in Kreuztal-Buschhütten. Wir gönnen uns in dem Ort Zürcher Geschnetzeltes und machen uns um 16:20 Uhr wieder auf den Weg. Die Strecke hat es in sich, ja. Auch ich bin jetzt schwer beeindruckt von der Ansammlung von Anstiegen. Es ist aber keine Frage von Schaffen-oder-Nicht-Schaffen sondern lediglich eine Frage der Zeit, bei mir dauern Anstiege einfach etwas länger. Landschaftlich bin ich völlig begeistert und freue mich vor allem auch für die Teilnehmer aus dem Ausland, was sie von Deutschland zu sehen bekommen.

Irgendwo um Much herum bemerke ich im Wiegetritt eine gewisse Instabilität meines Gepäcks. Schade, dass es gerade schüttet, aber dem muss sofort nachgegangen werden. Und siehe da: die rechte Schelle des Gepäckträgers ist abgerissen. Das schwere Gepäck wird zu Johann in die Taschen geladen. Drei stabile Kabelbinder übernehmen ab dann die Funktion der ehemaligen Schelle, es hält spitzenmäßig. Einige Kilometer weiter steht an einer Kreuzung George und sucht die Orientierung. Vorne leuchtet nur seine Stirnlampe, die andere ist defekt. Mit einigem Abstand folgt er uns. Als wir die Lichter von Köln sehen, lassen wir ihn für eine kurze Unterhaltung rankommen. Ab dann fahren wir gemeinsam bis Herkenrath: bergauf bestimme ich das Tempo, ansonsten ist Johann vorne. Die letzten Meter zum Naturfreundehaus sind „interessant“, vor allem im Dunklen. Einmal umparken, weil wir vor dem falschen Haus parken und dann gibt es um 22:18 Uhr was zu essen bei Inge und Rudolf. Kurz nach uns folgen Jos, Frank und Kalle. George ist kaum zu verstehen, schade. Nach dem Essen bekommen wir unser Zimmer gezeigt und können duschen, da hier Handtücher und Duschgel gestellt werden. Und dann noch richtige Betten mit frischem Bettzeug, fast wie im Paradies!

Dienstag, 17.08.: Rudolf weckt uns, wir frühstücken und draußen blitzt und donnert es. Na toll. Zum ersten Mal kommen unsere Regenhosen zum Einsatz. Um 05:13 Uhr im strömenden Regen aufs Rad. Mir wurden 1.000 Höhenmeter weniger für den Rückweg nach Messinghausen versprochen. Ich merke die über 3000 Höhenmeter des Vortags deutlich in den Beinen und freue mich nur, dass von den Knien kein Protest kommt. In Lautenbach gönnen wir uns von 08:12 – 08:41 Uhr eine Pause in einer Bäckerei. Wir setzen den Boden etwas unter Wasser und genießen den heißen Kakao und belegte Brötchen. Vor uns waren auch schon so nasse Radfahrer dort, sagt man uns. Dem nächsten Trupp wird dann wiederum von unserer Anwesenheit erzählt. Von 10:09 – 10:37 Uhr gibt es eine Pause in Attendorn, um 11:30 Uhr erreichen wir die Zwischen-Kontrolle in Finnentrop bei km 1.036. Mit den Rädern rein in den Toom, durch zur Bäckerei und erstmal ordentlich zulangen. Frikadellenbrötchen, Schnitzelbrötchen, Kaffee, das dauert seine Zeit. Jos, Frank und Kalle gesellen sich zu uns und freuen sich auch über das Sortiment.

Zwischennotiz: 7:31 Uhr, Jan trifft in Großhansdorf ein! Er ist am Ziel.

Um 12:35 Uhr fahren Johann und ich weiter, die anderen treffen wir unterwegs laufend wieder. Gemeinsam zu fahren, macht keinen Sinn, dafür fahren wir zu unterschiedlich. Als es mal für 5 Minuten aufhört zu regnen, beschließe ich, nach dem Anstieg die Regenhose auszuziehen. Unnötig, ab da regnet es wieder durchgehend. Die Sealskinz konnten das auch nicht ertragen, die Füße waren nass aber wenigstens warm. Ich kann es gar nicht glauben, dass der Rückweg so flach verläuft, wie angenehm. Abfahrten allerdings sind eine Tragödie. Ich traue mich kaum, die Bremsen loszulassen. Die Bremswirkung ist katastrophal verzögert, die Brille dicht mit Regentropfen – jetzt bin ich nicht nur bei den Anstiegen eine Schnecke sondern auch bei den Abfahrten. Die mit Schotter bedeckte Straße vom Hinweg müssen wir zurück rauf, das schiebe ich lieber. Das Hinterrad würde im Stand durchdrehen, muss nicht sein. Aus einer leichten Abfahrt geht’s einmal scharf rechts ab und ich schalte rechts und links um mein Leben: es geht bergauf mit 10+x Prozent. Hui, nochmal gutgegangen. Messinghausen ist nicht mehr weit, ich bin nur froh, dass ich weiß, da wartet eine heiße Dusche und trockene Kleidung. Um 18:20 Uhr sind wir dort.

Ab zur Dusche, trockene Sachen anziehen und eine köstliche Reispfanne verspeisen. Und dann kommt George angeradelt – mit gebrochenem Rahmen. Man kann es gar nicht glauben. Das Unterrohr wird durch Kabelbinder gehalten, geschient wie ein gebrochener Arm mit Schraubendrehern und Werkzeugschlüssel. Als absolute Kleinigkeit erscheinen da abgefahrene Bremsbeläge (Johann bremst hinten mit Metall). Johann macht mit Hermann (HBKH-Team) aus, welche Bremsbeläge er benötigt. Helmut scheint überzeugender, auf einmal hat er für Kalle die Bremsbeläge bekommen. Wir schauen uns an und verstehen die Welt nicht mehr. Metall auf Metall ist wirklich nicht für die Weiterfahrt empfehlenswert. Der Schützenchef schaut mit seinem Sohn vorbei und der ist sich sicher, zuhause genau solche Bremsen zu haben. Sie kommen wieder, doch leider ist mit MTB-Bremsen nichts anzufangen, es wäre zu schön gewesen. Wir machen uns um 20:52 Uhr wieder auf den Weg, wollen noch ein paar Kilometer an dem Tag schaffen. Ein steiler Anstieg noch und dann geht es sehr entspannt Richtung Ostwestfalen. Was für eine nette Straße. Im linken Knie ziept es, ich nehme das nicht ernst. Das Treten macht Spaß. Johann versucht, jedes Bremsen zu vermeiden bzw. wenn doch nötig, nur die funktionierende Bremse einzusetzen, so dass wir vorausschauend und vorsichtig fahren. Schade, dabei wäre jetzt ein schnelles Fahren recht "entspannt" gewesen. In Geseke machen wir nach 40 km Feierabend und suchen ein Quartier. Beim Vergleichen der drei "ec-Hotels" haben wir den Eindruck, als würde man uns aus einem Polizeiwagen heraus beobachten. Die Wahl ist getroffen, gute Nacht.

Mittwoch, 18.08.: Von 23:18 – 04:56 Uhr geht unsere Nachtruhe. Mein linkes Knie ist angeschwollen, die Augen kaum sichtbar. Na klasse. Die Rache der Herkenrath-Runde. Unterwegs finden wir ein aufgegebenes, herrenloses Rad am Straßenrand. Dort werden die vorhandenen Bremsbeläge (Weimann) gegen die abgefahren Bremsbeläge (Ultegra) ausgetauscht. Es sieht zwar komisch aus, aber die Hinterradbremse arbeitet wieder. Jetzt kann die Fahrt entspannt weitergehen. Johann kann wieder bremsen. In Schloss Holte ein erstes Frühstück beim Bäcker im Edeka um 06:46 Uhr. Wir radeln weiter um 07:22 Uhr. Zwischen-Kontrolle in Bad Salzuflen bei km 1.239 um 08:36 Uhr, ausgiebiges zweites Frühstück beim Türken nebenan. Frank, Kalle, Jos und Helmut kommen herein, sind mehrheitlich allerdings geschmacklich nur noch zu McD bereit. Ihr habt was verpasst. Um 09:51 Uhr heben wir die Tafel auf.

In Bad Oeynhausen stehen wir an einer Baustelle. Als Auskunft zum Thema Umgehung kommt die Information, dass dies nur mit großem Umweg möglich sei, dann probieren wir es doch einfach mal aus. Ganz großartig. Durchradeln geht. Wenn wir den Schmodder aber hätten antrocknen lassen, wäre das wohl nicht lange gutgegangen. Hinter der Baustelle fragt Johann im örtlichen Berufsförderungswerk nett an, ob sie wohl einen Wasserschlauch für uns hätten. Na klar, wird geholt. Prima. Das kostet etwas Zeit, aber so kann es dann weiter gehen.

Um 14:11 Uhr kommen wir in Lindern zur nächsten Hauptkontrolle angesegelt. Der Wind stand gut, Glück gehabt. 1.330 km sind geschafft. Andrea (HBKH-Team) begrüßt uns, die Helfer-Herren haben einen köstlichen Gemüseeintopf mit Wursteinlage gekocht, top! Frank kommt kurz danach, er hat beschleunigt, um der Müdigkeit wegzufahren, die anderen kommen wenig später. Um 15:46 Uhr verlassen wir den gastlichen Ort. Nur noch 200 km, ein Marathon, Kleinigkeit – wenn man frisch auf´s Rad steigt. Wir kennen unser Programm für das kommende Wochenende und somit ist klar, dass wir zwischendurch noch einmal schlafen werden. 50 km weiter ist in Verden die nächste Zwischen-Kontrolle um 17:50 Uhr. Danach beginnt es etwas zu regnen, wir halten an für Regenjacke und Picknick, wir sehen Frank auf uns zukommen. Als der Regen nach kurzer Fahrt stärker wird, stellen wir uns kurz unter. Irgendwann suchen wir eine Möglichkeit für einige ruhige Stunden und brauchen eine ganze Weile, bis wir in Jesteburg um 23:01 Uhr endlich eine geeignete Bank gefunden haben. Wir liegen ganz gut, etwas frisch von unten, aber wir schlafen. Auf einmal kommt eine Bankbedienstete herein: in keinster Weise irritiert oder schockiert sondern meint lediglich, Johanns Rad müsste da weg, sie müsste in den Schalterraum, um den Briefkasten zu leeren. Also Rad umsetzen, die Dame erledigt ihren Job und ist wieder verschwunden. Sie verspricht uns noch, dass sie uns kein zweites Mal stören würde. Und sie hat auch nicht die Polizei anschließend gerufen, wir durften ungestört weiterschlafen.

Donnerstag, 19.08.: Um 03:15 Uhr habe ich genug, wir fahren weiter. Das linke Knie ist noch etwas dicker geworden, die Augen auch. Wir überholen und grüßen George, der auf der Landstraße ulkigerweise in der falschen Fahrtrichtung steht. Um 04:20 Uhr sind wir in Winsen zur Zwischen-Kontrolle bei km 1.488. Drinnen hocken zwei Engländer und denen berichte ich dann, dass ihr George auch gleich ankommen müsste. Sie hatten ihn schon vermisst, da sie ihn irgendwann aus den Augen verloren hätten. Sie erzählen, George sei auf der Insel eine Berühmtheit aufgrund der vielen 24-Stunden-Rennen, die er gefahren sei und bei einem Rennen hätte er auch zweimal den Rekord gehabt. Sein Rad sei 40 Jahre alt und George 70! Wir genehmigen uns ein Rührei-Brötchen und Kaffee, die Engländer sich eine deftige warme Mahlzeit und dann kommt George. Auch diese Etappe noch mit diesem Rahmen geschafft.

Wir fahren weiter um 04:53 Uhr, während die Engländer sich noch ein Nickerchen gönnen. Es geht über die Elbe und dann staune ich nicht schlecht, welche Wellen sich im Umland von Hamburg befinden. Zur Belohnung gibt es auf einer "Bergkuppe" eine Bäckerei, in der es noch einmal Kaffee und für mich ein köstliches Teilchen mit Zimt gibt. Von 06:25 Uhr an schaffen wir es dann ohne Unterbrechung bis 07:56 Uhr ins Ziel. Geschafft. Das reichte dann auch. Das linke Knie begrenzte das Vorankommen am Ende durch ein merkwürdiges Ziehen, wie ich es vorher noch nicht kannte. Das getapte rechte Knie machte keine Zicken.

Das war eine richtig schöne Tour! Landschaftlich spitzenmäßig, richtig gut ausgewählte Straßen, Organisation und Verpflegung perfekt. Nächstes Jahr bräuchte ich diese Qual wohl nicht schon wieder, aber in vier Jahren? Wer weiß.

72 Stunden hat manch einer als Ziel für die Bruttozeit gehabt, netto finde ich das auch gar nicht soooo schlecht. Bei fast 122 Stunden brutto wird deutlich: Wir genießen die Touren!


Bilder sind hier: http://picasaweb.google.com/johann.eilers/HBK1419August2010#

Link zur Strecke: http://www.gpsies.com/map.do?fileId=yzadfnsfwfwbaxsu


Statistik:
- gemeldet waren 68 Teilnehmer(innen),
- gestartet sind 63 Teilnehmer(innen)
- 48 Teilnehmer(innen) = 1.527 km (Finisher) - der erste nach 73:31 h (17.08. um 07:31 Uhr), der letzte nach 126:38 h (19.08. 12:38 Uhr), Zeit war bist 19.08. 12:50 Uhr)
- 8 Teilnehmer(innen) = 1.145 km
- 1 Teilnehmer(innen)= 950 km
- 3 Teilnehmer(innen)= 740 km
- 1 Teilnehmer(innen)= 460 km
- 2 Teilnehmer(innen)= 270 km

Montag, 26. Juli 2010

Lowlands 2010





Ein 1.200er zu Beginn der Ferienzeit, wie genial. Aber halt, der beginnt ja doch einen Tag zu früh. Fragen kostet nichts und siehe da: Johann und ich dürfen 25 Stunden später nachstarten.

Die Vorbereitung im Vergleich zu LEL diesmal minimal: es wird einfach eins der Getränkepulver genommen, die offen sind; das Rad ist fertig und auch das Reisegepäck dank der vorherigen Brevets schnell ausgewählt. Schlafsack, ein kompletter Satz Wechselgarderobe plus noch eine zusätzliche Hose, 4 TetraPaks Eiskaffee, 1 Beutel Paderborner, 1 Paket Scheibenkäse und diverse Riegel und Gels.

Wir beginnen unseren Urlaub am 15. Juli mit einer Pizza in Zwolle. Als wir zum Auto wollen, schüttet es wie aus Eimern. Nützt nichts, wir werden von Gerrits Frau erwartet. Auf dem Weg dorthin kurz umgezogen und dann gemütlich Tee trinken und die Räder klar machen. Um 21 Uhr ist unser Start: tschüss Ineken, bis die Tage.

Der Regen hat aufgehört, aber windig ist es. Da damit in NL durchaus zu rechnen war, hab ich vorher schon gescherzt: ich weiß, wo ich mich dann verstecke…

Es geht zunächst in nordwestliche Richtung. Für die erste Kontrolle in Nijemirdum hatte uns Gerrit mitgeteilt, dass wir dort wohl nichts mehr finden würden, wir sollten es in Lemmer versuchen. Na gut, wir suchen – wir suchen lange. Von einem Wohnmobilisten aus Wesel bekommen wir schließlich den Hinweis, dass auf der Strecke ein Hotel liegt. Der Nachtportier ist unsicher, ob er uns reinlassen soll. Versteht dann aber unser Anliegen und so bekommen wir unseren ersten Stempel.















Weiter zum Abschlussdeich. Was uns erwartet, ist uns klar: 30 Kilometer feinster Gegenwind, besser gesagt Gegensturm. Vorher will ich auf jeden Fall noch etwas essen und wärmer anziehen. In dem Wind bleibt uns lediglich der Windschatten einer Brücke als Schutz, wo man es mal für einige Minuten aushält, stehen zu bleiben. Also Picknick, Beinlinge, Windjacken und Socken anziehen und mutig los. Einen 15er Schnitt haben wir als Brutto-Vorgabe. Mehr als 15 km/h sehe ich als Geschwindigkeit so gut wie nie. Stattdessen viel zu häufig eine „12“. Was für ein Mist! Gerade am Anfang so reinzutreten ist Gift für meine Patellasehne, wenn das mal gut geht.


Am frühen Morgen ist es geschafft, wir suchen in Den Oever unsere nächste Kontrollmöglichkeit. Der Ort schläft noch, da sehen wir Licht in einem Privathaus, an dem „B&B“ steht. Die Frau ist etwas erstaunt, versorgt uns aber mit unserer Bestätigung und lässt mich auf die Toilette – brrrrrrh, mich schüttelt es heute noch. Was jetzt noch fehlt, ist etwas Schlaf. Einen Bankautomaten gibt es, aber außen, der nützt also nichts. Beste Gelegenheit, die sich bietet: hinter einem Gebäude im Freien. Ungestört in den Schlafsäcken gönnen wir uns eine knappe Stunde Pause.

Gegen 06:30 Uhr geht’s weiter. Ein Dixie-Klo für Johann zwischendurch an einer Schule, danke an die die Arbeiter dort. Frühstücken im Einkaufszentrum in Middenwaard. Und dann 80 zermürbende Kilometer zum Nordseekanal. Mit der kostenlosen Fähre rüber und ich habe erst mal die Nase voll. Der Gegenwind macht mich fertig. Lächeln für ein Foto? Neeeeee.

Nach ner Cola und ner halben Stunde Beine hoch und Augen zu geht es natürlich wieder weiter. Spaß ist anders. Urlaub? Gar Hochzeitsreise? Wenn es nicht mit dem Teufel zugeht, gibt es auch eine Zeit nach dem Gegenwind. Darauf setze ich dann mal.

90 km nach Maasdijk. Es geht Richtung SO, immer noch heftiger Gegenwind. Mittagessen mit schlechten Hamburgern und Frühlingsrolle in einem Imbiss in Leiden. Wieder Böötchenfahren und dann eine Kontrollmöglichkeit suchen. 50 Minuten Pause.

Auf nach Gertruidenberg. Besonderheit auf dieser Etappe: es geht in einen Aufzug, der uns zur Fahrradspur unter die alte Maas bringt. Auf der anderen Seite bringt uns ein Aufzug wieder nach oben. Faszinierend. Landschaftlich und stimmungsmäßig eine richtig schöne Etappe. Eine Kneipe bestätigt unsere Anwesenheit und gibt uns einen Tipp, wo denn eine Bank zu finden ist. Die ist auch schnell gefunden: ohne Vorraum, Automaten draußen. In den Niederlanden ist einiges anders als in Deutschland ;-) Na gut, es ist trocken und warm – ab in einen Hinterhof. 1,5 Stunden Ruhe.

400 offizielle Kilometer sind geschafft, in Realität bereits einige mehr. Gut 80 km bis Valkenswaard. Kontrolle? Alles tot hier morgens gegen 5. Aber siehe da: ein Fußgänger, der seinen Hund ausführt. Das muss diesmal reichen: der Mann bekommt einen Stift in die Hand gedrückt und unsere Karten – hat er doch auch was zu erzählen für den Tag. Jetzt schlafen! Nur wo? Eine schlafende Tankstelle lädt ein. Die hinterste Waschkabine wird unser Schlafabteil, schon richtig Luxus. Eine Stunde Tiefschlaf.

Wenn wir Maastricht im Zeitrahmen schaffen, sollte das Brevet eigentlich kein Problem mehr werden. Ab dort geht es wieder richtig Norden und außerdem nach 600 km die erleichterten Bedingungen: statt eines 15er Schnitts ist lediglich ein 13er Schnitt einzuhalten, schon ein Unterschied.

Unvermeidbar verbunden mit Maastricht sind Kilometer am Kanal. Wir stapfen zu Fuß durch eine Baustelle, orientieren uns mit dem Navi und der Streckenbeschreibung. Das Knotenpunktsystem ist idiotensicher, aber warum fehlt uns auf einmal eine Zahl? Also etwas suchen und irgendwann wieder die richtigen Zahlen finden. Wir kommen ins Stadtgebiet von Maastricht, ich erkenne von Ivos Brevets einiges wieder. Die Jugendherberge, die wir uns auch für die Kontrolle ausgesucht haben, ist nicht mehr weit.

09:55 Uhr, ich liege auf dem Boden, von oben gucken mich drei Gesichter an. Mir tut die Schulter weh. Was ist los? Ich kann aufstehen, ok. Wir sind in Maastricht, ja das erkenne ich. Auf nem 1.200er? Was für ein 1.200er? Ach ja, da war was, irgendwas dämmert mir. Was ist denn eigentlich passiert? Johann bremste für eine rote Ampel, die ich wohl nicht gesehen habe und ich bin ihm in die Packtasche reingefahren. Daraufhin - wie es die Spuren an Knöchel, Ellenbogen und Schulter verraten - nach links umgekippt. Als klar ist, dass es mir soweit ganz gut geht, schwingt sich Johann aufs Rad und holt von der Jugendherberge unsere Stempel. Ich warte und versuche mich zu erinnern. Völlig benebelt geht’s dann erstmal in die Innenstadt was zu essen und zu trinken kaufen und dann im Schatten erholen. Der Kopf schmerzt etwas, mir wird wieder bewusst, was wir eigentlich gerade machen. Das Befinden war schon mal besser, aber es geht. Nach fast 600 Kilometern würde ich doch gerne mal die Hose wechseln. Bei einem Opelhändler nach wenigen Metern bietet sich die Gelegenheit.

Keine Ahnung, ob oder wie lange das gut geht, aber zur Zeit gibt es keinen Anlass, den Brevet abzubrechen. Also machen wir uns auf den Weg Richtung Norden. Posterholt, Roermond, Venlo – fast schon heimische Ortsnamen. Gerade im Bereich von Venlo bestaunen wir die Sturmschäden. Was dort an Bäumen entwurzelt ist, ist unglaublich. Eispause an einem Supermarkt. Um 18:13 Uhr bekommen wir an der Autobahnraststätte in Oirlo unseren Kontrollstempel, essen und duschen dort – ein großartiges Gefühl. Eine Pause von 1 3/4Stunde und mir geht es soweit gut.

Es geht Richtung Deutschland. Bei Geldern beginnt der Regen. Es folgen Blitz und Donner. Regenjacke und Sandalen sind bewährte Utensilien beim Radeln im Sommer. Auf dem Weg nach Wesel regnet’s wie aus Eimern, was soll’s. In Wesel dann endlich wieder: ein Bankvorraum! Fast 2 Stunden gönnen wir uns dort. Die nächste Kontrolle ist in Rhade, ein 24-Stunden-Mäckes an einer Tankstelle. Um 02:50 Uhr geht es von dort weiter.

In Rorup gönnen wir uns in der Volksbank ein erneutes Päuschen. Einschließlich Frühstück in der Bäckerei gegenüber werden es 2,5 Stunden.

Zweites Frühstück vom Edeka in Alstätte. Zurück nach NL. In Hengelo geht’s zur Kontrolle an eine Texaco-Tankstelle. Es stehen fast 90 km an bis Zwolle. Der Schädel meldet sich bei Unebenheiten, es lässt sich aber aushalten. Highlight: eine traumhafte Heidelandschaft, mit der ich absolut nicht gerechnet hatte: der Nationalpark Sallandse heuvelrug. Zwolle erreichen wir gegen 15:30 Uhr. Bis 17:00 Uhr gönnen wir uns eine Pause mit Suppe, Schwätzchen und nochmaligem Hosenwechsel. Auf einen Besuch unseres Bagdrops im Auto verzichten wir, die Vorräte reichen noch und klamottenmäßig reicht es uns auch für die letzten 250 Kilometer.

Aus Zwolle raus bewundern wir wunderschöne Häuser, auch originell orangefarben-gestaltete. Dass gepflasterte Ortsdurchfahrten schöner sind als geteerte, können auch nur Autofahrer meinen. Ne ne ne, unfassbar, was einem da angetan wird. Eine schöne Strecke, wir gönnen uns ein Picknick am Kanal bei Bovensmilde. Unser Brot ist leider verschimmelt, der Käse schmeckt auch ohne Brot. Mini-Salamis runden das Mahl ab.

In Groningen erhalten wir unseren Stempel in einem Hotel und suchen anschließend eine Schlafgelegenheit. Auf einmal schießt ein Köter kläffend auf mein Rad zu. Ich mag Hunde und habe normalerweise keine Angst vor ihnen. Der hat es geschafft. Was hab ich mich erschrocken. Irgendwann ist er weg und ich kann erstmal durchatmen. An einer Kirche erhoffen wir uns ein stilles Plätzchen. Die Kirche ist innen umgebaut und dient als Wohnhaus. Also drinnen schon mal nichts. Um die Ecke geschaut und beschlossen, dass wir verborgen genug liegen würden. Wir zwängen uns in eine Nische zwischen Haus und Busch und liegen über 4,5 Stunden. Als wir wach werden ist es ziemlich feucht und kühl. Wir ziehen uns warm an und machen uns auf den Weg.

Eine kurze 60-Kilometer-Etappe nach Warten. Dort ist für uns kontrollmäßig nichts zu finden, also geht’s weiter und wir entdecken einen gerade geöffneten Shop eines Campingplatzes in Grou. Passend für ein Frühstück um 8 Uhr.

Bei Steenwijk um 11:30 Uhr lockt uns ein Garten zur Kaffeepause. Die letzten 37 Kilometer bis Zwolle absolvieren wir in ca. 2 Stunden. Lowlands1200 ist nach 88,5 Stunden (69,5 netto) geschafft. Bei Gerrit gibt es Dusche, Tee und Kekse und wir machen uns auf den Weg zum Erholungsurlaub auf den Zeltplatz.

Fazit:

Kein Platten
Kaum dicke Beine
Keine Knieprobleme
Deutlich geschwollenere Augen als nach LEL
Das Gesäß hat es besser mitgemacht als vorher befürchtet
Ein neuer Helm ist bestellt – die Kopfschmerzen nach dem Sturz fanden ihre
Erklärung, als ich mir den Helm von innen angesehen habe
1.200 km ohne Unterstützung bedeuten eine Menge Zeit, die für Sucherei draufgeht

Das Wichtigste: es wurde ab Maastricht die erhoffte Urlaubsfahrt: relativ ohne
Zeitdruck, so macht es doch Spaß!

Die Tour: http://www.gpsies.com/map.do?fileId=ymrgmxlypprtoicc">

Donnerstag, 6. August 2009

LEL2009

23.06.2009: Ich? Zu LEL? Wie lustig. Aber warum eigentlich nicht ;-)



24.06. – 23.07.2009: Planungen für den etwas anderen Urlaub

Licht: es wird Zeit für einen Nabendynamo - also Mavic cxp33 mit Shimano DH-3N80 und dazu die B+M Cyo mit 60 Lux. Als Zweitleuchte die Ixon IQ.

Navigation: mit GPS würde ich mich ja doch wohler fühlen als nur mit Route-Sheet, falls ich alleine klarkommen müsste - also Garmin Vista HCx.

Brennstoff: austesten verschiedener Getränkepulver, Entscheidung fällt auf Blutorange von Xenofit und Resten des vorhandenen Aldi-Pulvers. Alles in Portionstütchen für 1-Liter-Flaschen abgefüllt. Oat-Snacks und Gels geordert.

Getränkehalter umrüsten, damit 1-Liter-Flaschen problemlos gegriffen werden können.

Verlängerungsteil für Ortlieb-Lenkertasche gekauft, damit Navi Platz nach vorne hat.

Hotel für Vor- und Nach-Brevet-Übernachtungen gebucht.

Anreise geplant per Zug.

Radtasche geordert.

Ein bisschen radeln.

Üben mit dem Navi.


24.07.2009

08:44 Uhr, Köln Hbf, Gaby und ich im ICE: zu zweit mit Radtaschen durch 3 Waggons – was für ein Mist. Da landet schon mal ein Kaffeebecher auf dem Boden. Letztendlich das Gepäck verstreut abgestellt und zwei Sitzplätze ergattert. Schweißgebadet. Umsteigen in Brüssel in den Eurostar, Räder finden schöne Plätze, wir sowieso auch, alles ist gut.

Ankunft 12:26 Uhr St. Pancras/King’s Cross: Aufbau der Räder und ab in den Linksverkehr. Sehr spannend dank der Busse, die uns immer wieder zwingen, uns in den fließenden Verkehr einzusortieren. Der erste Regen lässt nicht lange auf sich warten, also ab in ein Café gegenüber dem Stadion von Arsenal: Pie + Chips, wir sind in England. Nach gut 20 km kommen wir am Hotel an und geben uns alle Mühe, dass es auffällt, wie wir mit den Rädern in den Aufzug wollen. Kein Widerspruch, wunderbar. Das Zimmer: erstaunlich groß und gut möbliert, zu dem Preis hatte ich mit was anderem gerechnet.

Später dann ab zur Jugendherberge, da müssten doch ein paar bekannte Gesichter zu sehen sein. Dem ist aber überhaupt nicht so. Erstaunlich tote Hose da. Na gut, klappern wir mal ein paar Pubs ab: auch nichts los. Hunger: ab zum Inder und siehe da – eine lange Tafel mit Amerikanern und einem Israeli. Sehr lustige Runde, so kann es weitergehen.



25.07.2009

Ordentliches Frühstück im Hotel und dann machen wir uns wieder auf zur Jugendherberge. Heute ist Registrierung, da muss da mehr los sein. Und so ist es dann auch. Schnell werden wir von Ivo als Volunteers mit eingespannt: Gaby an einem der registration desks, ich in der Küche zum Verkauf von Kaffee, Tee und Süßkram. Kein schlechter Job: im Schatten, immer die Möglichkeit für ein kleines Schwätzchen und außerdem sind wir so an unser erstes Souvenir rangekommen: ein knallrotes LEL-T-Shirt. Die Registrierung dauert ewig. Die Teilnehmer stehen stundenlang Schlange in der Sonne, so dass immer mehr in die Küche kommen und nach Wasser fragen. Die Helfer werden von uns mitversorgt, alles läuft viel zu schleppend. Ausgabe von Radnummer, Trinkflasche, 2 Reflexbändern, 2 Ohrenstöpseln, je 1 Riegel und 1 Gel, Brevet-Karte und bestellten Trikots. Nach 19 Uhr ziehen sich Gaby, Ivo und ich aus der Arbeit raus: wir sind die einzigen der Freiwilligen, die am nächsten Tag mitfahren wollen und brauchen unser Abendessen.

Anschließend geht’s mit Johann und Hermann zum Hotel, Zwischenstopp an der Tanke, um Frühstück für den nächsten Morgen und Bier für den Abend einzukaufen. Fertigmachen der Räder, der Taschen für den Bag-Drop und der Tasche, die im Hotel eingelagert wird bis zur Rückkehr. Dann ein Bierchen zusammen und es wird Zeit zu schlafen.



Sonntag, 26.07.2009:

Kleines Frühstück auf dem Zimmer, ab zum Start. Wie verrückt: Ivo hilft schon wieder bei der Registrierung, der hat Nerven.

Und dann: Die Show beginnt!

Startaufstellung an der Bahnstation von Cheshunt. Wie haben es eigentlich so viele Italiener in die erste Startgruppe geschafft? Egal, um 08:10 Uhr geht es los. Ziemlich flott startet der Pulk, zu Gaby, Johann und mir hat sich noch Fred dazugesellt. Von ihm kommen laufend Warnungen, dass wir zu schnell unterwegs seien. 15 Minuten Nahrungsaufnahme in Gamlingay bei km 65, Schwätzchen mit Jan Geerts, 52 Minuten Pause an der Kontrolle in Thurlby bei km 151, 35 Minuten Pause an der Kontrolle in Washingborough bei km 216. Irgendwann beginnt dann auch der Regen, der uns bis zum letzten Tag immer begleiten soll. Bei km 273 dann ein Platten in meinem Hinterrad: konnte ja gar nicht anders sein. Also schön im Regen mit dem Tubus Fly rumhantieren und den Dorn im Mantel suchen. Johann fungiert als Radhalter, mahnt zur Eile, nach 20 Minuten geht es weiter. Bei km 302 gönnen wir uns eine Pause von einer halben Stunde, bei km 314 eine weitere halbe Stunde. Etwas merkwürdig, aber so sagt es mein Tacho. Ende der ersten Etappe ist um 05:30 Uhr nach 405 km in Coxwold, wir sind mit einem Schnitt von 24,3 in LEL gestartet. Zu schnell?

Sehr nette Helfer an den Stationen, Umgang mit dem Navi wird so langsam, Verpflegungssituation deutlich besser als gedacht. Richtig klasse: immer wieder Leute treffen. Gute Beine.



Montag, 27.07.2009:

Nach 2,5 Stunden Pause auf hartem Fußboden, von denen ich vielleicht 10 Minuten geschlafen habe (dank lauter Teilnehmer, die sich unterhalten haben, Taschen umgepackt haben, geschnarcht haben) geht es um 08:00 Uhr weiter. Johann ist nicht mehr bei uns, er ist nach einer kürzeren Pause noch weiter gefahren und wollte nicht schlafen.

Nach 52 km Kontrolle in Middleton Tyas: für das Essen dürfen Wunschzettel ausgefüllt werden und anschließend wird das Essen an den Tisch gebracht. Fast eine Stunde Pause ist aber doch vielleicht was lang. Die Landschaft gefällt mir immer besser, blöderweise habe ich nur irgendwann das Gefühl, immer mal wieder mit dem Po auf Asphalt aufzusetzen. Und dann ist es soweit: der Schlauch muss gewechselt werden, das Ventil hatte von Anfang an einen Schaden, jetzt hält es gar nicht mehr. Ich versuche noch, das Gaby vor mir zuzurufen, die Information kommt aber nicht an. Also Rad abstellen, um die Ecke erst mal die Blase entleeren und dann an die Arbeit: diesmal den Gepäckträger leer räumen. Natürlich im strömenden Regen. Rad raus, Schlauch raus und dann kommen die beiden Begleiter auch wieder zurück. Vereint ist es nach 20 Minuten geschafft und die zwei dürfen zum zweiten Mal dieselben Höhenmeter erklimmen. Es geht über Yad Moss, mit 600 m der höchste Punkt der Tour, nach Alston zur Kontrolle. Ein hartes Stück Arbeit in traumhaft schöner Landschaft. Die Cattle Grids lassen sich prima überfahren, die Schafe bleiben ruhig liegen. 50 Minuten Pause, auch hier wird einem das Essen auf Bestellung an den Tisch gebracht, geschmacklich war das eher nichts.

Weiter geht’s 94 km nach Eskdalemuir. Nach Alston runter geht es über eine Abfahrt, bei der mir sofort in den Kopf schießt: auf dem Rückweg wirst Du hier wohl kaum radelnd hochkommen: winziges Kopfsteinpflaster mit einer Steigung von bis zu 14 Prozent. Es folgen lange Abschnitte Bundesstraße, irgendwann kommt uns der erste Trupp Randonneure entgegen. Die Cattle Grids in diesem Teil sind gar nicht schön: harte Schläge, die durch den ganzen Körper gehen. Immer wieder giftige Anstiege mit häufig 10 aber auch bis 13,3 Prozent Steigung lassen uns etwas fluchen: wer sagte doch gleich, dieser Abschnitt wäre vergleichbar mit der Eifel? Moderate Anstiege? Wir sind platt, als wir in Eskdalemuir ankommen. Hinsetzen, essen, und einfach in Ruhe leiden. Das Chili ist sehr lecker, mir aber für so eine Tour zu scharf. Also eine Folienkartoffel mit Bohnen – nun ja, der Hunger treibt’s rein. Der arme Johann, den wir dort treffen, kann unseren Zustand wohl nicht erkennen, als er begeistert davon berichten will, er hätte bis dahin alles richtig gemacht, genau das wollen wir ganz sicher nicht hören, sorry. Die Länge der Pause spricht für sich: 1 Stunde und 15 Minuten. Wir sind erst 222 km gefahren und es ist mittlerweile nach 23 Uhr. Zum Schlafen zu früh, ob wir es bis Dalkeith noch schaffen in der Nacht? 83,5 km? Fahren wir erst mal bis Traquair die „lächerlichen“ 45 km und sehen dann weiter. Es folgt eine hübsche Nachtfahrt mit einigen weiteren Steigungen, die aber unter 10 Prozent bleiben. Uns kommen immer wieder Radler entgegen, eine feine Sache. Nach 258 km beschließen wir, dass wir in Traquair Feierabend machen. Es ist kurz vor 2 Uhr und wir werden begrüßt mit der Frage, ob wir einen Whiskey wollen, nette Idee. Lieber heißen Porridge, nie war er so lecker wie zu diesem Zeitpunkt. Zwei Boden-Schlafplätze auf der Bühne hinter dem Vorhang, gut, dass Gaby und ich die eigenen Schlafsäcke haben. Ohrenstöpsel rein und dann gibt es 3 Stunden Schlaf.

Der Durchschnitt an dem Tag: 19,9.

Warum schleppen wir eigentlich jemanden mit, den wir überhaupt nicht kennen? Windschattenfahren kann man mit ihm nicht, englisch kann er nicht, mit dem GPS kommt er nicht klar, zweifelt aber meine Entscheidungen an und hat natürlich selber auch nicht den schriftlichen Routenplan in Sicht.

Und schade, dass wir nicht wussten, dass wir die Frauen Nr. 2 und 3 sind.




Dienstag, 28.07.2009:

Kleines Frühstück, begrüßen von Jan und Axel, die schon auf dem Rückweg sind, und kurz vor 6 sitzen wir wieder auf den Rädern, um den Katzensprung nach Dalkeith in Angriff zu nehmen. 38 km bis zur Dusche und dem Klamottenwechsel.

Bis auf das letzte Stück eine schöne Landschaft, wir freuen uns auf die Abfahrten auf dem Rückweg.

Essen in Dalkeith (Nudelauflauf morgens um 8 finde ich völlig normal) gibt es wieder auf Bestellung, es schmeckt auch richtig gut. Dann suchen wir die Bag-Drop-Taschen und ab geht’s zur Dusche: unisex, nicht jedermanns Sache. Wie lustig. Die Wurzelbürste hilft, die Schienbeine mal wieder sauber zu bekommen, und insgesamt belebt das heiße Wasser wunderbar. Das Anziehen frischer Kleidung ist der pure Genuss. Wir begrüßen Peter Z., verpacken die Sachen für den Rücktransport und dann geht es nach 1 ¾ Stunde um 09:30 Uhr auf den Rückweg.

Nach einigen Minuten kommen uns unsere Niederrhein-Herren entgegen und ich zumindest genieße diesen Erfolg doch etwas. Die Ernüchterung folgt allerdings sehr schnell: warum haben wir uns eigentlich auf die Abfahrten so gefreut? Wir werden begrüßt von starkem Gegenwind, der uns tatsächlich auch bergab zwingt, kräftig zu treten, um vorwärts zu kommen. Unfair, man hat uns um den Rückenwind auf dem Hinweg betrogen. Also richtig arbeiten und auf ein Päuschen in Traquair freuen, Porridge, wie lecker. Für den Rückweg brauchen wir fast eine halbe Stunde länger als für den Hinweg. Zur Überraschung ist die Bühne durch zwei Massageliegen gefüllt. Keine schlechte Idee: einmal bitte die Beine durchkneten. Diese Pause wird dadurch zwar was lang mit 1 Stunde und 10 Minuten, aber es tut doch gut.

Die folgenden 45 km nach Eskdalemuir sind dann nicht so schön, wie ich in der Nacht eigentlich vermutet hatte. Dazu kommen dann noch Holztransporter auf viel zu enger Straße, nicht wirklich Genussradeln. Es ist kalt, es regnet, meine Knie brauchen dringend die Beinlinge, die Narben ziehen. Essen fassen in Eskd.: nach den Erfahrungen auf dem Hinweg order ich einfach eine Riesenportion Reis mit Butter. Noch was Salz drauf und so ist’s gut. Eine Stunde in etwas zugiger Umgebung, weiter geht’s.

Die längste Etappe: 95 km nach Alston, und das mit dem Wind und dem Regen, was für Aussichten. Das beste ist noch die flüchtige Begegnung relativ am Anfang: ein entgegenkommender Radler mit Kamera im Gesicht – hallo Ivo. Es ist kurz vor 17 Uhr. Irgendwann nach 19 Uhr haben wir die Bundesstraße endlich hinter uns und ich brauche dringend was zu essen. Der Kopf ist schon völlig leer und im Erhaltungsmodus, die Beine treten einfach weiter. An Windschattenfahren ist gar nicht zu denken: zum einen keine Lust auf den Dreck vom Rad vor mir und zum anderen ist es mir in der Situation viel zu gefährlich. Gaby entdeckt einen Imbiss: Pommes, Chicken Nuggets und Cola. Lebensretter. Vor Kälte mit den Zähnen klappernd geht es weiter, so langsam entspannt sich mein Körper wieder und wird warm. Der Wind wird immer stärker, die Anstiege werden dadurch noch eine Spur bissiger, die Geschwindigkeit auf dem Tacho sinkt immer weiter ab. Windböen sorgen dafür, dass der Lenker gut festgehalten werden muss und Wiegetritt kaum möglich ist – womit haben wir das verdient? Wir kriechen durch die Landschaft. 13,3 Prozent und gleichzeitig eine frontale Windböe im Kurvenausgang kommen mir vor, als wäre ich gegen eine Wand gefahren. Die Kunst besteht jetzt darin, auszuklicken und sicher zum Stehen zu kommen und dann beim Schieben nicht vom Sturm umgeworfen zu werden. Es ist dunkel, es schüttet, es stürmt, zum Glück fährt dort kein Auto. Langsam kämpfen wir uns radelnd weiter, bis wir in Alston unten am Kopfsteinpflaster sind: schieben. Oben wieder aufsitzen, ein Stück fahren und dann wieder schieben. Die letzten 3,6 km bis zur Kontrolle legen wir in einer halben Stunde zurück: ein Schnitt von 7,3! Von Dalkeith bis Alston haben wir es in einem „rasanten“ Schnitt von 17,2 geschafft. Um 23:25 Uhr sind wir im Trockenen.

Die Herberge ist schon gut gefüllt, es gelingt mir trotzdem, ein Zimmer mit 3 Sofas zu ergattern. Wecken? Bloß nicht zu früh, 6 Uhr. Während wir das Gewusel im Eingangsbereich noch beobachten, kommt Arvid und will los. Zwei Landsleute versuchen, ihn daran zu hindern, letztendlich wirkt sanfter Zwang von Heather, die ihm mit Entzug der Brevet-Karte droht, wenn er sich alleine auf den Weg machen sollte. Armer Arvid: wohin jetzt mit der frischen Red-Bull-Energie? Gaby wird von Heather noch interviewt, guter Stoff für die DVD in dieser Nacht. Die gute Nachricht: wegen des Wetters erhalten wir eine Zeitgutschrift von zwei Stunden. Vor dem Schlafen noch was essen, einen heißen Kakao trinken und dann ab in den Schlafsack. Ohrenstöpsel schalten alles aus, ich schlafe wie tot.

Warum ist es selbstverständlich, dass ich für den Herrn am Telefon dolmetsche, damit er mit seiner Frau im Hotel verbunden werden kann? Warum ist es selbstverständlich, dass der „Herbergsvater“ ihm das größte Sofa bezieht? Warum ist ihm das noch nicht mal peinlich, als ich mich mit den Polstern auf den Boden lege?

Aber hey: wir sind heile aus der Hölle gekommen, konnten uns selber mal so richtig zeigen, was wir leisten können und so, wie wir das gemeistert haben (nicht nur körperlich sondern auch moralisch), können wir schon stolz auf uns sein. Später erfahren wir von Unterkühlungen bei anderen Teilnehmern, dieses Risiko sah ich bei uns zu keinem Zeitpunkt. Diese Etappe hat unglaublich Kraft gekostet, so dass die zwei zusätzlichen Stunden eine nette Geste sind, aber längst nicht aufwiegen können, was im folgenden an Kraft fehlen wird. Der Spaß an der Sache ist aber ungebrochen, und das ist noch wichtiger.



Mittwoch, 29.07.2009:

Das Anziehen der nassen Klamotten ist eine schnelle Gelegenheit, wach zu werden. Auf dem Flur haben weitere Gestrandete den Boden bevölkert, jeder ist bemüht, sie beim Gehen nicht anzustoßen. Im Aufenthaltsraum sitzen unsere Niederrhein-Herren beim Frühstück, eilig haben sie es auch nicht. Auch für sie war die Nacht kein Kasperletheater.

Um 06:41 geht es wieder los: es regnet noch, der Wind hat aber nachgelassen. Wir genießen jeder für sich die Fahrt durch diesen ruhigen Morgen: Yad Moss schaurig schön. Darf man freudig grinsen, wenn man bei 11 Grad durch den Regen radelt? Egal, es ist einfach nur schön und bekloppt sind doch alle, die hier unterwegs sind. Die Brille beschlägt, da sehe ich ohne Brille mehr, und es ist ziemlich kalt da oben bei den Abfahrten. Bei Sonnenschein stelle ich es mir dort auch ganz hübsch vor.

Die 75 km bis zur Kontrolle in Middleton Tyas verlaufen nicht sehr gesprächig, ein paar kleinere Anstiege sind zu bewältigen, jeder ist etwas stärker in sich gekehrt als am Tag vorher. Um 10:44 sind wir dort, ordern unser Essen und dann geht es eine knappe Stunde später wieder weiter.

Und dann der Moment: an einem Anstieg kommt Fred neben mich, ich kämpfe gerade und habe überhaupt keinen Nerv auf eine Unterhaltung oder dass mir jemand zu nahe kommt. Er kommt noch nicht mal dazu, den Mund aufzumachen, als ich ihm sofort sage „fahr doch einfach vorne weg“. Daraufhin kommt noch ein letztes „bist Du auch schlecht drauf?“ und weg ist er. Ich bin etwas verdutzt, welche Wirkung mein Satz hatte, Gaby klärt mich auf: der wollte sich ausheulen. Sie hatte ihm zuvor einfach mal den Spiegel vorgehalten.

Weiter also im wunderbar harmonisierenden Zweierteam. Wie stressfrei. Die Landschaft passt sich an, es verläuft mal relativ harmlos. Gegen 14:30 Uhr kommen wir in Coxwold zur Kontrolle, genau eine Stunde später geht es weiter. Noch zwei kleinere Anstiege und das gröbste ist geschafft. Herrliche, flache 89 km bis Thorne, nur der Gegenwind als Hindernis. Um 20:15 Uhr reicht es uns für den Tag mit 222 km. Von den Jungs werden wir aufgezogen: „wo ist denn Euer Schatten?“, ich hatte keine Ahnung. Ohne Brille habe ich ihn wirklich nicht gesehen. Schnell einen köstlichen Nudelauflauf verschlungen und dann werden uns zwei Feldbetten zugewiesen. Ich gönne mir noch eine Dusche, versuche, die nassen Sachen dort zum Trocknen aufzuhängen und bin dann glücklich mit Ohrenstöpseln im Schlafsack. Für den Morgen planen wir, mit den Jungs gemeinsam zu starten.

Ein Durchschnitt von 20,2 in nicht allzu schwierigem Terrain macht deutlich, wie sehr uns die Sturmnacht zugesetzt hat. Rekorde wollen wir auch keine mehr brechen. Es fehlen noch knapp 300 km, das sollte am nächsten Tag im Hellen zu schaffen sein.



Donnerstag, 30.07.2009:

Der Weckdienst funktioniert ganz hervorragend, ich hätte dem Helfer aber fast vor lauter Schreck eine gelangt. Gerade noch mal gutgegangen. Anziehen, igitt wie nass und kalt, Tasche packen, schnelles Frühstück und dann stehen die zwei Damen fertig draußen und warten auf die Herren. Na toll. Um 02:09 schalte ich den Tacho an, 17 Minuten später geht’s endlich los. Gaby und ich vorne, im gemächlichen Tempo. Irgendwann übernimmt Hermann die Spitze und es wird deutlich schneller. Uns zu schnell und zu stressig mit dem Gruppefahren. Lieber wieder langsamer zu zweit durch die Lande rollen. Dann der Spaß am frühen Morgen: die Jungs übersehen den Abzweig nach rechts auf die Südroute und fahren den Hinweg wieder zurück. Pech, das sind ein paar Kilometer mehr. Wir entdecken zwei schlafende Radler in einer Bushaltestelle, das muss die einzige auf der ganzen Tour gewesen sein, die ich gesehen habe. An einer Tankstelle ein Kaffeepäuschen und die zwei Schläfer kommen auch dazu.

Nach 74 km Kontrolle in Washingborough um 06:17 Uhr. Ordentlich frühstücken und den irgendwann eintrudelnden Jungs ne lange Nase machen.

50 Minuten später machen wir uns wieder auf den Weg: mit 66 km die relativ kurze Etappe nach Thurlby. Ein bisschen Rückenwind wäre mal ganz nett. Wir quatschen, wir hören Musik, wir werden von oben geduscht – alles völlig normal auf so einer kleinen Radtour. Gegen 11:00 Uhr sind wir an der Kontrolle, endlich wieder was zu essen. Und ein Grund, vom Sattel und aus den Pedalen zu müssen. So langsam macht sich der Druck dort unangenehm bemerkbar. Eine Stunde Pause, und weiter. Noch gut 150 km.

Bis Gamlingay zur Kontrolle sind es 86 km. Die Zahl unserer Stopps zwischendurch nimmt zu, irgendwo bereite ich Gaby den Spaß, dass ich in einem Ort mitten auf der Straße Sitzcreme nachschmiere – in der Situation fand ich das völlig normal, wie erschreckend. Weiter radeln, weiter quatschen, weiter Musik hören, weiter geduscht werden. Pause machen wird zwischendurch gar nicht so einfach: über Kilometer keine vernünftige Gelegenheit, einzukehren oder sich wenigstens mal woanders hinzusetzen. Also wenigstens raus aus Sattel und Pedalen und das Rad irgendwo angelehnt. Kurz vor Gamlingay dann erste Anzeichen, dass wir langsam durchdrehen: wir legen viel zu früh einen Schlusssprint ein, um an Peter Z. und dem Liegeradler Joachim und einer Gruppe unbekannter männlicher Teilnehmer vorbeizuziehen. Lustig war’s, aber auch so richtig bekloppt.

Um 16:40 Uhr sind wir in Gamlingay, jetzt ist der Rest doch sehr übersichtlich. Wir stärken uns noch mit Sandwiches, klönen in aller Ruhe und ganz mutig informiere ich die Umwelt per SMS über das nahende Ende.

Entspannt beginnen wir 50 Minuten später die letzte Etappe, 17:30 Uhr. Wir könnten um 20:30 Uhr im Ziel sein. Es rollt sich ganz gut, irgendwann fällt mir zum x-ten Mal auf dieser Tour die Kette ab. Gaby rollt weiter, ich wenig später hinterher. In einem Ort fahre ich ein paar Meter an einem Abzweig vorbei, zurück und auf die richtige Spur. Komisch, wie weit ist sie denn gekommen in der Zeit? Nichts von ihr zu sehen. Also weiter gejagt, über die Autobahn rüber und dann bekomme ich zwei Niederländer zu fassen: nein, Gaby hätten sie nicht gesehen. Schnauf. Na gut, Zeit fürs Handy. Und siehe da, genau die Ecke, an der ich versehentlich vorbei bin, war unser Verderben. Unglaublich, nach über 1350 km gemeinsamer Fahrt kann so was doch nicht passieren. Aber alles noch mal gut gegangen. Weiter geht’s. Eine sehr einladende Bank nötigt uns zur nächsten Pause und lässt den Energienachschub in Form von Gel angenehmer vonstatten gehen: Pfefferminze von Xenofit kann ich nur empfehlen, schmeckt halbwegs, aber vor allem die Wirkung, wow.

Wir kommen dem Ziel immer näher, als plötzlich die Straße vor uns abgesperrt ist. Netterweise lassen uns die Polizisten auf dem Bürgersteig weiter rollen. Später erfahren wir, dass bei dem Unfall ein Tourteilnehmer von einem Anhänger erfasst worden ist und ins Krankenhaus gekommen ist. Zum Glück hat er keine schwerwiegenden Verletzungen.

Weit ist es nicht mehr, noch 5 km bis ins Ziel. Vor uns ein Anstieg, ich schalte rechts runter, ein merkwürdiges Geräusch und der Hebel lässt sich nicht mehr bewegen. Was ist das denn? Dass die Kette abspringt, kenne ich, aber das nicht. Links ist eine Einfahrt. Gaby guckt, was Sache ist und bemerkt fast fröhlich: Kleinigkeit, haben wir gleich, nur der Schaltzug gerissen. Ach so, Kleinigkeit? Na gut, ich hab nix dabei, hab keine Ahnung davon und staune. Alter Schaltzug raus, neuen aus ihrer Satteltasche gezogen, eingefädelt und festgestellt, dass Campa-Züge leider zu kurz sind für die Shimano-Schaltung, schade aber auch. Und jetzt? Ich sehe mich im Kopf schon die letzten 5 km zu Fuß gehen, wäre immer noch in der Zeit, also kein Drama. Aber angenehm wäre es nicht. Ein weiterer Radler wird angehalten, in der Hoffnung auf einen Shimano-Schaltzug: Fehlanzeige. Also hilft es nur, den Kram hinten zu fixieren, so dass ich mit den drei Blättern klarkommen muss. Nun gut, immerhin kann ich weiter fahren. Ich mache mich schon mal auf den Weg nach oben, strample so weit, wie ich komme und schaffe es dann nicht mehr aus dem Pedal, plumps. Künstlerpech. Aufstehen, hoch schieben, aufsitzen und weiter geht’s. Der nächste Anstieg, vorher ausklicken, hochstrampeln, absteigen, schieben und den letzten Rest der Tour ohne Probleme bewältigen. Ohne Bastelaktion wären wir immerhin 20 Minuten eher im Ziel gewesen, vielleicht wäre es auch noch hell gewesen.

So haben wir die 1401 km um 21:30 Uhr geschafft, nach insgesamt 109,5 Stunden. Die zwei zusätzlichen Stunden haben wir also nicht benötigt, wir sind im ursprünglichen Zeitrahmen von 116:40 Stunden geblieben. Gratulationen der wartenden Niederrhein-Herren, unsere Bag-Drop-Taschen werden in Kalles Auto verfrachtet, Kontrolle, Empfang der Medaille und der Überraschungs-Tüte und ein wenig Zucker-Klau.

Was wärmeres anziehen und dann zum Hotel radeln. Alles aufs Zimmer verfrachten und das Wellness-Programm beginnt: Schmiere von Händen und Beinen abreiben mit Körperöl und Zucker, ein super Peeling! Was ich alles lernen durfte. Dann das Highlight: ein Vollbad! Aaaaaah, was für ein Genuss. Anschließend Sandwich, Bier, Joghurt aus der Überraschungstüte und noch ein Gute-Nacht-Schwätzchen.



Freitag, 31.07.2009:

Es ist noch dunkel im Zimmer, ich bin noch hundemüde, Gaby steht auf: es ist sieben Uhr, quasi mitten in der Nacht, Himmelherrgott… Aber sie hat ja Recht: wir wollen zur Jugendherberge, um die nächsten Ankömmlinge zu begrüßen. Ersten Kaffee im Bett, dann runter zum Frühstück und mit dem ungepolsterten Po wieder aufs Rad: aua. Gar nicht schön. Es folgt ein herrlich entspannter Tag: Kaffee trinken, Sandwich essen, klönen, Beifall klatschen, Sonnenbrand holen, Rad putzen und irgendwann trudelt Ivo als letzter ein. Abendessen in der Jugendherberge mit Ivo, Melita, Heather, Damon und einer Flasche Rotwein. Und dann war es das wirklich: LEL2009 ist zu Ende, wir radeln ein letztes Mal zum Hotel, aua.



Samstag, 01.08.2009:

Abschied von England: Frühstück, Räder verpacken, Taschen packen, Taxi rufen und wir lassen uns diesmal bis zur U-Bahn nach Tottenham Hale bringen. Bis King’s Cross und dann wieder zum Eurostar. Auf belgischer Seite ist das System eindeutig besser, hier herrscht Chaos. Über Brüssel nach Köln und Abschied nehmen von Gaby – best wheel mate ever. Es passt einfach. Ganz simpel. Da zitiere ich dann mal gerne.

Für mich war es wirklich eine richtig klasse Tour. Unverhofft dazu gekommen; absolut unklar, was das werden wird; naiv darauf vertrauend, dass das schon klappen wird, wenn andere mir das zutrauen. Trotz aller Anstrengung hat es richtig Spaß gemacht. Die Sturm-Passage war zwar hart, aber da wir nie in Lebensgefahr waren und unbeschadet da rausgekommen sind, dient es doch ganz hervorragend für Heldengeschichten. Einfach nur eine weitere Prüfung auf diesem Brevet. Und was ich unterwegs ja gar nicht oft genug hören konnte:
„Das ist viel härter als PBP 2007.“ Das half.


Gelernt habe ich so einiges:

- extrem kritisch sein bei der Auswahl der Wegbegleiter
- gerade zu Beginn die Pausen nicht ausarten lassen
- der Schlafsack gehört auf jeden Fall zum Gepäck
- Hosen mit unterschiedlichen Polstern auswählen
- der Tubus-Fly kann Zeit kosten und Nerven rauben
- ich sollte deutlich fitter in Sachen Technik sein
- … (mal sehen, was mir noch einfällt)



Post-LEL:
Seit Montag sind die Beine wieder in normalen Ausmaßen, Knie tun in keinster Weise weh, taten sie auch auf der Tour nicht. Po ist etwas wund, die Zehen etwas taub, aber Hände, Nacken und alles andere völlig ohne Beschwerden.

Wenn ich daran denke, wie das Ganze angefangen hat, muss ich immer wieder lachen und in den letzten Tagen ist das ziemlich häufig: an einem schmuddeligen Februartag ganz harmlos mit Peter auf dem Weg zu Gaby, in der Küche dann ihr Angebot "Wenn Du mal einen 200er fahren willst, begleite ich Dich"...
Ich danke Euch beiden.







LEL2009 in Bildern - Dank an die Fotografen:


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