Donnerstag, 6. August 2009

LEL2009

23.06.2009: Ich? Zu LEL? Wie lustig. Aber warum eigentlich nicht ;-)



24.06. – 23.07.2009: Planungen für den etwas anderen Urlaub

Licht: es wird Zeit für einen Nabendynamo - also Mavic cxp33 mit Shimano DH-3N80 und dazu die B+M Cyo mit 60 Lux. Als Zweitleuchte die Ixon IQ.

Navigation: mit GPS würde ich mich ja doch wohler fühlen als nur mit Route-Sheet, falls ich alleine klarkommen müsste - also Garmin Vista HCx.

Brennstoff: austesten verschiedener Getränkepulver, Entscheidung fällt auf Blutorange von Xenofit und Resten des vorhandenen Aldi-Pulvers. Alles in Portionstütchen für 1-Liter-Flaschen abgefüllt. Oat-Snacks und Gels geordert.

Getränkehalter umrüsten, damit 1-Liter-Flaschen problemlos gegriffen werden können.

Verlängerungsteil für Ortlieb-Lenkertasche gekauft, damit Navi Platz nach vorne hat.

Hotel für Vor- und Nach-Brevet-Übernachtungen gebucht.

Anreise geplant per Zug.

Radtasche geordert.

Ein bisschen radeln.

Üben mit dem Navi.


24.07.2009

08:44 Uhr, Köln Hbf, Gaby und ich im ICE: zu zweit mit Radtaschen durch 3 Waggons – was für ein Mist. Da landet schon mal ein Kaffeebecher auf dem Boden. Letztendlich das Gepäck verstreut abgestellt und zwei Sitzplätze ergattert. Schweißgebadet. Umsteigen in Brüssel in den Eurostar, Räder finden schöne Plätze, wir sowieso auch, alles ist gut.

Ankunft 12:26 Uhr St. Pancras/King’s Cross: Aufbau der Räder und ab in den Linksverkehr. Sehr spannend dank der Busse, die uns immer wieder zwingen, uns in den fließenden Verkehr einzusortieren. Der erste Regen lässt nicht lange auf sich warten, also ab in ein Café gegenüber dem Stadion von Arsenal: Pie + Chips, wir sind in England. Nach gut 20 km kommen wir am Hotel an und geben uns alle Mühe, dass es auffällt, wie wir mit den Rädern in den Aufzug wollen. Kein Widerspruch, wunderbar. Das Zimmer: erstaunlich groß und gut möbliert, zu dem Preis hatte ich mit was anderem gerechnet.

Später dann ab zur Jugendherberge, da müssten doch ein paar bekannte Gesichter zu sehen sein. Dem ist aber überhaupt nicht so. Erstaunlich tote Hose da. Na gut, klappern wir mal ein paar Pubs ab: auch nichts los. Hunger: ab zum Inder und siehe da – eine lange Tafel mit Amerikanern und einem Israeli. Sehr lustige Runde, so kann es weitergehen.



25.07.2009

Ordentliches Frühstück im Hotel und dann machen wir uns wieder auf zur Jugendherberge. Heute ist Registrierung, da muss da mehr los sein. Und so ist es dann auch. Schnell werden wir von Ivo als Volunteers mit eingespannt: Gaby an einem der registration desks, ich in der Küche zum Verkauf von Kaffee, Tee und Süßkram. Kein schlechter Job: im Schatten, immer die Möglichkeit für ein kleines Schwätzchen und außerdem sind wir so an unser erstes Souvenir rangekommen: ein knallrotes LEL-T-Shirt. Die Registrierung dauert ewig. Die Teilnehmer stehen stundenlang Schlange in der Sonne, so dass immer mehr in die Küche kommen und nach Wasser fragen. Die Helfer werden von uns mitversorgt, alles läuft viel zu schleppend. Ausgabe von Radnummer, Trinkflasche, 2 Reflexbändern, 2 Ohrenstöpseln, je 1 Riegel und 1 Gel, Brevet-Karte und bestellten Trikots. Nach 19 Uhr ziehen sich Gaby, Ivo und ich aus der Arbeit raus: wir sind die einzigen der Freiwilligen, die am nächsten Tag mitfahren wollen und brauchen unser Abendessen.

Anschließend geht’s mit Johann und Hermann zum Hotel, Zwischenstopp an der Tanke, um Frühstück für den nächsten Morgen und Bier für den Abend einzukaufen. Fertigmachen der Räder, der Taschen für den Bag-Drop und der Tasche, die im Hotel eingelagert wird bis zur Rückkehr. Dann ein Bierchen zusammen und es wird Zeit zu schlafen.



Sonntag, 26.07.2009:

Kleines Frühstück auf dem Zimmer, ab zum Start. Wie verrückt: Ivo hilft schon wieder bei der Registrierung, der hat Nerven.

Und dann: Die Show beginnt!

Startaufstellung an der Bahnstation von Cheshunt. Wie haben es eigentlich so viele Italiener in die erste Startgruppe geschafft? Egal, um 08:10 Uhr geht es los. Ziemlich flott startet der Pulk, zu Gaby, Johann und mir hat sich noch Fred dazugesellt. Von ihm kommen laufend Warnungen, dass wir zu schnell unterwegs seien. 15 Minuten Nahrungsaufnahme in Gamlingay bei km 65, Schwätzchen mit Jan Geerts, 52 Minuten Pause an der Kontrolle in Thurlby bei km 151, 35 Minuten Pause an der Kontrolle in Washingborough bei km 216. Irgendwann beginnt dann auch der Regen, der uns bis zum letzten Tag immer begleiten soll. Bei km 273 dann ein Platten in meinem Hinterrad: konnte ja gar nicht anders sein. Also schön im Regen mit dem Tubus Fly rumhantieren und den Dorn im Mantel suchen. Johann fungiert als Radhalter, mahnt zur Eile, nach 20 Minuten geht es weiter. Bei km 302 gönnen wir uns eine Pause von einer halben Stunde, bei km 314 eine weitere halbe Stunde. Etwas merkwürdig, aber so sagt es mein Tacho. Ende der ersten Etappe ist um 05:30 Uhr nach 405 km in Coxwold, wir sind mit einem Schnitt von 24,3 in LEL gestartet. Zu schnell?

Sehr nette Helfer an den Stationen, Umgang mit dem Navi wird so langsam, Verpflegungssituation deutlich besser als gedacht. Richtig klasse: immer wieder Leute treffen. Gute Beine.



Montag, 27.07.2009:

Nach 2,5 Stunden Pause auf hartem Fußboden, von denen ich vielleicht 10 Minuten geschlafen habe (dank lauter Teilnehmer, die sich unterhalten haben, Taschen umgepackt haben, geschnarcht haben) geht es um 08:00 Uhr weiter. Johann ist nicht mehr bei uns, er ist nach einer kürzeren Pause noch weiter gefahren und wollte nicht schlafen.

Nach 52 km Kontrolle in Middleton Tyas: für das Essen dürfen Wunschzettel ausgefüllt werden und anschließend wird das Essen an den Tisch gebracht. Fast eine Stunde Pause ist aber doch vielleicht was lang. Die Landschaft gefällt mir immer besser, blöderweise habe ich nur irgendwann das Gefühl, immer mal wieder mit dem Po auf Asphalt aufzusetzen. Und dann ist es soweit: der Schlauch muss gewechselt werden, das Ventil hatte von Anfang an einen Schaden, jetzt hält es gar nicht mehr. Ich versuche noch, das Gaby vor mir zuzurufen, die Information kommt aber nicht an. Also Rad abstellen, um die Ecke erst mal die Blase entleeren und dann an die Arbeit: diesmal den Gepäckträger leer räumen. Natürlich im strömenden Regen. Rad raus, Schlauch raus und dann kommen die beiden Begleiter auch wieder zurück. Vereint ist es nach 20 Minuten geschafft und die zwei dürfen zum zweiten Mal dieselben Höhenmeter erklimmen. Es geht über Yad Moss, mit 600 m der höchste Punkt der Tour, nach Alston zur Kontrolle. Ein hartes Stück Arbeit in traumhaft schöner Landschaft. Die Cattle Grids lassen sich prima überfahren, die Schafe bleiben ruhig liegen. 50 Minuten Pause, auch hier wird einem das Essen auf Bestellung an den Tisch gebracht, geschmacklich war das eher nichts.

Weiter geht’s 94 km nach Eskdalemuir. Nach Alston runter geht es über eine Abfahrt, bei der mir sofort in den Kopf schießt: auf dem Rückweg wirst Du hier wohl kaum radelnd hochkommen: winziges Kopfsteinpflaster mit einer Steigung von bis zu 14 Prozent. Es folgen lange Abschnitte Bundesstraße, irgendwann kommt uns der erste Trupp Randonneure entgegen. Die Cattle Grids in diesem Teil sind gar nicht schön: harte Schläge, die durch den ganzen Körper gehen. Immer wieder giftige Anstiege mit häufig 10 aber auch bis 13,3 Prozent Steigung lassen uns etwas fluchen: wer sagte doch gleich, dieser Abschnitt wäre vergleichbar mit der Eifel? Moderate Anstiege? Wir sind platt, als wir in Eskdalemuir ankommen. Hinsetzen, essen, und einfach in Ruhe leiden. Das Chili ist sehr lecker, mir aber für so eine Tour zu scharf. Also eine Folienkartoffel mit Bohnen – nun ja, der Hunger treibt’s rein. Der arme Johann, den wir dort treffen, kann unseren Zustand wohl nicht erkennen, als er begeistert davon berichten will, er hätte bis dahin alles richtig gemacht, genau das wollen wir ganz sicher nicht hören, sorry. Die Länge der Pause spricht für sich: 1 Stunde und 15 Minuten. Wir sind erst 222 km gefahren und es ist mittlerweile nach 23 Uhr. Zum Schlafen zu früh, ob wir es bis Dalkeith noch schaffen in der Nacht? 83,5 km? Fahren wir erst mal bis Traquair die „lächerlichen“ 45 km und sehen dann weiter. Es folgt eine hübsche Nachtfahrt mit einigen weiteren Steigungen, die aber unter 10 Prozent bleiben. Uns kommen immer wieder Radler entgegen, eine feine Sache. Nach 258 km beschließen wir, dass wir in Traquair Feierabend machen. Es ist kurz vor 2 Uhr und wir werden begrüßt mit der Frage, ob wir einen Whiskey wollen, nette Idee. Lieber heißen Porridge, nie war er so lecker wie zu diesem Zeitpunkt. Zwei Boden-Schlafplätze auf der Bühne hinter dem Vorhang, gut, dass Gaby und ich die eigenen Schlafsäcke haben. Ohrenstöpsel rein und dann gibt es 3 Stunden Schlaf.

Der Durchschnitt an dem Tag: 19,9.

Warum schleppen wir eigentlich jemanden mit, den wir überhaupt nicht kennen? Windschattenfahren kann man mit ihm nicht, englisch kann er nicht, mit dem GPS kommt er nicht klar, zweifelt aber meine Entscheidungen an und hat natürlich selber auch nicht den schriftlichen Routenplan in Sicht.

Und schade, dass wir nicht wussten, dass wir die Frauen Nr. 2 und 3 sind.




Dienstag, 28.07.2009:

Kleines Frühstück, begrüßen von Jan und Axel, die schon auf dem Rückweg sind, und kurz vor 6 sitzen wir wieder auf den Rädern, um den Katzensprung nach Dalkeith in Angriff zu nehmen. 38 km bis zur Dusche und dem Klamottenwechsel.

Bis auf das letzte Stück eine schöne Landschaft, wir freuen uns auf die Abfahrten auf dem Rückweg.

Essen in Dalkeith (Nudelauflauf morgens um 8 finde ich völlig normal) gibt es wieder auf Bestellung, es schmeckt auch richtig gut. Dann suchen wir die Bag-Drop-Taschen und ab geht’s zur Dusche: unisex, nicht jedermanns Sache. Wie lustig. Die Wurzelbürste hilft, die Schienbeine mal wieder sauber zu bekommen, und insgesamt belebt das heiße Wasser wunderbar. Das Anziehen frischer Kleidung ist der pure Genuss. Wir begrüßen Peter Z., verpacken die Sachen für den Rücktransport und dann geht es nach 1 ¾ Stunde um 09:30 Uhr auf den Rückweg.

Nach einigen Minuten kommen uns unsere Niederrhein-Herren entgegen und ich zumindest genieße diesen Erfolg doch etwas. Die Ernüchterung folgt allerdings sehr schnell: warum haben wir uns eigentlich auf die Abfahrten so gefreut? Wir werden begrüßt von starkem Gegenwind, der uns tatsächlich auch bergab zwingt, kräftig zu treten, um vorwärts zu kommen. Unfair, man hat uns um den Rückenwind auf dem Hinweg betrogen. Also richtig arbeiten und auf ein Päuschen in Traquair freuen, Porridge, wie lecker. Für den Rückweg brauchen wir fast eine halbe Stunde länger als für den Hinweg. Zur Überraschung ist die Bühne durch zwei Massageliegen gefüllt. Keine schlechte Idee: einmal bitte die Beine durchkneten. Diese Pause wird dadurch zwar was lang mit 1 Stunde und 10 Minuten, aber es tut doch gut.

Die folgenden 45 km nach Eskdalemuir sind dann nicht so schön, wie ich in der Nacht eigentlich vermutet hatte. Dazu kommen dann noch Holztransporter auf viel zu enger Straße, nicht wirklich Genussradeln. Es ist kalt, es regnet, meine Knie brauchen dringend die Beinlinge, die Narben ziehen. Essen fassen in Eskd.: nach den Erfahrungen auf dem Hinweg order ich einfach eine Riesenportion Reis mit Butter. Noch was Salz drauf und so ist’s gut. Eine Stunde in etwas zugiger Umgebung, weiter geht’s.

Die längste Etappe: 95 km nach Alston, und das mit dem Wind und dem Regen, was für Aussichten. Das beste ist noch die flüchtige Begegnung relativ am Anfang: ein entgegenkommender Radler mit Kamera im Gesicht – hallo Ivo. Es ist kurz vor 17 Uhr. Irgendwann nach 19 Uhr haben wir die Bundesstraße endlich hinter uns und ich brauche dringend was zu essen. Der Kopf ist schon völlig leer und im Erhaltungsmodus, die Beine treten einfach weiter. An Windschattenfahren ist gar nicht zu denken: zum einen keine Lust auf den Dreck vom Rad vor mir und zum anderen ist es mir in der Situation viel zu gefährlich. Gaby entdeckt einen Imbiss: Pommes, Chicken Nuggets und Cola. Lebensretter. Vor Kälte mit den Zähnen klappernd geht es weiter, so langsam entspannt sich mein Körper wieder und wird warm. Der Wind wird immer stärker, die Anstiege werden dadurch noch eine Spur bissiger, die Geschwindigkeit auf dem Tacho sinkt immer weiter ab. Windböen sorgen dafür, dass der Lenker gut festgehalten werden muss und Wiegetritt kaum möglich ist – womit haben wir das verdient? Wir kriechen durch die Landschaft. 13,3 Prozent und gleichzeitig eine frontale Windböe im Kurvenausgang kommen mir vor, als wäre ich gegen eine Wand gefahren. Die Kunst besteht jetzt darin, auszuklicken und sicher zum Stehen zu kommen und dann beim Schieben nicht vom Sturm umgeworfen zu werden. Es ist dunkel, es schüttet, es stürmt, zum Glück fährt dort kein Auto. Langsam kämpfen wir uns radelnd weiter, bis wir in Alston unten am Kopfsteinpflaster sind: schieben. Oben wieder aufsitzen, ein Stück fahren und dann wieder schieben. Die letzten 3,6 km bis zur Kontrolle legen wir in einer halben Stunde zurück: ein Schnitt von 7,3! Von Dalkeith bis Alston haben wir es in einem „rasanten“ Schnitt von 17,2 geschafft. Um 23:25 Uhr sind wir im Trockenen.

Die Herberge ist schon gut gefüllt, es gelingt mir trotzdem, ein Zimmer mit 3 Sofas zu ergattern. Wecken? Bloß nicht zu früh, 6 Uhr. Während wir das Gewusel im Eingangsbereich noch beobachten, kommt Arvid und will los. Zwei Landsleute versuchen, ihn daran zu hindern, letztendlich wirkt sanfter Zwang von Heather, die ihm mit Entzug der Brevet-Karte droht, wenn er sich alleine auf den Weg machen sollte. Armer Arvid: wohin jetzt mit der frischen Red-Bull-Energie? Gaby wird von Heather noch interviewt, guter Stoff für die DVD in dieser Nacht. Die gute Nachricht: wegen des Wetters erhalten wir eine Zeitgutschrift von zwei Stunden. Vor dem Schlafen noch was essen, einen heißen Kakao trinken und dann ab in den Schlafsack. Ohrenstöpsel schalten alles aus, ich schlafe wie tot.

Warum ist es selbstverständlich, dass ich für den Herrn am Telefon dolmetsche, damit er mit seiner Frau im Hotel verbunden werden kann? Warum ist es selbstverständlich, dass der „Herbergsvater“ ihm das größte Sofa bezieht? Warum ist ihm das noch nicht mal peinlich, als ich mich mit den Polstern auf den Boden lege?

Aber hey: wir sind heile aus der Hölle gekommen, konnten uns selber mal so richtig zeigen, was wir leisten können und so, wie wir das gemeistert haben (nicht nur körperlich sondern auch moralisch), können wir schon stolz auf uns sein. Später erfahren wir von Unterkühlungen bei anderen Teilnehmern, dieses Risiko sah ich bei uns zu keinem Zeitpunkt. Diese Etappe hat unglaublich Kraft gekostet, so dass die zwei zusätzlichen Stunden eine nette Geste sind, aber längst nicht aufwiegen können, was im folgenden an Kraft fehlen wird. Der Spaß an der Sache ist aber ungebrochen, und das ist noch wichtiger.



Mittwoch, 29.07.2009:

Das Anziehen der nassen Klamotten ist eine schnelle Gelegenheit, wach zu werden. Auf dem Flur haben weitere Gestrandete den Boden bevölkert, jeder ist bemüht, sie beim Gehen nicht anzustoßen. Im Aufenthaltsraum sitzen unsere Niederrhein-Herren beim Frühstück, eilig haben sie es auch nicht. Auch für sie war die Nacht kein Kasperletheater.

Um 06:41 geht es wieder los: es regnet noch, der Wind hat aber nachgelassen. Wir genießen jeder für sich die Fahrt durch diesen ruhigen Morgen: Yad Moss schaurig schön. Darf man freudig grinsen, wenn man bei 11 Grad durch den Regen radelt? Egal, es ist einfach nur schön und bekloppt sind doch alle, die hier unterwegs sind. Die Brille beschlägt, da sehe ich ohne Brille mehr, und es ist ziemlich kalt da oben bei den Abfahrten. Bei Sonnenschein stelle ich es mir dort auch ganz hübsch vor.

Die 75 km bis zur Kontrolle in Middleton Tyas verlaufen nicht sehr gesprächig, ein paar kleinere Anstiege sind zu bewältigen, jeder ist etwas stärker in sich gekehrt als am Tag vorher. Um 10:44 sind wir dort, ordern unser Essen und dann geht es eine knappe Stunde später wieder weiter.

Und dann der Moment: an einem Anstieg kommt Fred neben mich, ich kämpfe gerade und habe überhaupt keinen Nerv auf eine Unterhaltung oder dass mir jemand zu nahe kommt. Er kommt noch nicht mal dazu, den Mund aufzumachen, als ich ihm sofort sage „fahr doch einfach vorne weg“. Daraufhin kommt noch ein letztes „bist Du auch schlecht drauf?“ und weg ist er. Ich bin etwas verdutzt, welche Wirkung mein Satz hatte, Gaby klärt mich auf: der wollte sich ausheulen. Sie hatte ihm zuvor einfach mal den Spiegel vorgehalten.

Weiter also im wunderbar harmonisierenden Zweierteam. Wie stressfrei. Die Landschaft passt sich an, es verläuft mal relativ harmlos. Gegen 14:30 Uhr kommen wir in Coxwold zur Kontrolle, genau eine Stunde später geht es weiter. Noch zwei kleinere Anstiege und das gröbste ist geschafft. Herrliche, flache 89 km bis Thorne, nur der Gegenwind als Hindernis. Um 20:15 Uhr reicht es uns für den Tag mit 222 km. Von den Jungs werden wir aufgezogen: „wo ist denn Euer Schatten?“, ich hatte keine Ahnung. Ohne Brille habe ich ihn wirklich nicht gesehen. Schnell einen köstlichen Nudelauflauf verschlungen und dann werden uns zwei Feldbetten zugewiesen. Ich gönne mir noch eine Dusche, versuche, die nassen Sachen dort zum Trocknen aufzuhängen und bin dann glücklich mit Ohrenstöpseln im Schlafsack. Für den Morgen planen wir, mit den Jungs gemeinsam zu starten.

Ein Durchschnitt von 20,2 in nicht allzu schwierigem Terrain macht deutlich, wie sehr uns die Sturmnacht zugesetzt hat. Rekorde wollen wir auch keine mehr brechen. Es fehlen noch knapp 300 km, das sollte am nächsten Tag im Hellen zu schaffen sein.



Donnerstag, 30.07.2009:

Der Weckdienst funktioniert ganz hervorragend, ich hätte dem Helfer aber fast vor lauter Schreck eine gelangt. Gerade noch mal gutgegangen. Anziehen, igitt wie nass und kalt, Tasche packen, schnelles Frühstück und dann stehen die zwei Damen fertig draußen und warten auf die Herren. Na toll. Um 02:09 schalte ich den Tacho an, 17 Minuten später geht’s endlich los. Gaby und ich vorne, im gemächlichen Tempo. Irgendwann übernimmt Hermann die Spitze und es wird deutlich schneller. Uns zu schnell und zu stressig mit dem Gruppefahren. Lieber wieder langsamer zu zweit durch die Lande rollen. Dann der Spaß am frühen Morgen: die Jungs übersehen den Abzweig nach rechts auf die Südroute und fahren den Hinweg wieder zurück. Pech, das sind ein paar Kilometer mehr. Wir entdecken zwei schlafende Radler in einer Bushaltestelle, das muss die einzige auf der ganzen Tour gewesen sein, die ich gesehen habe. An einer Tankstelle ein Kaffeepäuschen und die zwei Schläfer kommen auch dazu.

Nach 74 km Kontrolle in Washingborough um 06:17 Uhr. Ordentlich frühstücken und den irgendwann eintrudelnden Jungs ne lange Nase machen.

50 Minuten später machen wir uns wieder auf den Weg: mit 66 km die relativ kurze Etappe nach Thurlby. Ein bisschen Rückenwind wäre mal ganz nett. Wir quatschen, wir hören Musik, wir werden von oben geduscht – alles völlig normal auf so einer kleinen Radtour. Gegen 11:00 Uhr sind wir an der Kontrolle, endlich wieder was zu essen. Und ein Grund, vom Sattel und aus den Pedalen zu müssen. So langsam macht sich der Druck dort unangenehm bemerkbar. Eine Stunde Pause, und weiter. Noch gut 150 km.

Bis Gamlingay zur Kontrolle sind es 86 km. Die Zahl unserer Stopps zwischendurch nimmt zu, irgendwo bereite ich Gaby den Spaß, dass ich in einem Ort mitten auf der Straße Sitzcreme nachschmiere – in der Situation fand ich das völlig normal, wie erschreckend. Weiter radeln, weiter quatschen, weiter Musik hören, weiter geduscht werden. Pause machen wird zwischendurch gar nicht so einfach: über Kilometer keine vernünftige Gelegenheit, einzukehren oder sich wenigstens mal woanders hinzusetzen. Also wenigstens raus aus Sattel und Pedalen und das Rad irgendwo angelehnt. Kurz vor Gamlingay dann erste Anzeichen, dass wir langsam durchdrehen: wir legen viel zu früh einen Schlusssprint ein, um an Peter Z. und dem Liegeradler Joachim und einer Gruppe unbekannter männlicher Teilnehmer vorbeizuziehen. Lustig war’s, aber auch so richtig bekloppt.

Um 16:40 Uhr sind wir in Gamlingay, jetzt ist der Rest doch sehr übersichtlich. Wir stärken uns noch mit Sandwiches, klönen in aller Ruhe und ganz mutig informiere ich die Umwelt per SMS über das nahende Ende.

Entspannt beginnen wir 50 Minuten später die letzte Etappe, 17:30 Uhr. Wir könnten um 20:30 Uhr im Ziel sein. Es rollt sich ganz gut, irgendwann fällt mir zum x-ten Mal auf dieser Tour die Kette ab. Gaby rollt weiter, ich wenig später hinterher. In einem Ort fahre ich ein paar Meter an einem Abzweig vorbei, zurück und auf die richtige Spur. Komisch, wie weit ist sie denn gekommen in der Zeit? Nichts von ihr zu sehen. Also weiter gejagt, über die Autobahn rüber und dann bekomme ich zwei Niederländer zu fassen: nein, Gaby hätten sie nicht gesehen. Schnauf. Na gut, Zeit fürs Handy. Und siehe da, genau die Ecke, an der ich versehentlich vorbei bin, war unser Verderben. Unglaublich, nach über 1350 km gemeinsamer Fahrt kann so was doch nicht passieren. Aber alles noch mal gut gegangen. Weiter geht’s. Eine sehr einladende Bank nötigt uns zur nächsten Pause und lässt den Energienachschub in Form von Gel angenehmer vonstatten gehen: Pfefferminze von Xenofit kann ich nur empfehlen, schmeckt halbwegs, aber vor allem die Wirkung, wow.

Wir kommen dem Ziel immer näher, als plötzlich die Straße vor uns abgesperrt ist. Netterweise lassen uns die Polizisten auf dem Bürgersteig weiter rollen. Später erfahren wir, dass bei dem Unfall ein Tourteilnehmer von einem Anhänger erfasst worden ist und ins Krankenhaus gekommen ist. Zum Glück hat er keine schwerwiegenden Verletzungen.

Weit ist es nicht mehr, noch 5 km bis ins Ziel. Vor uns ein Anstieg, ich schalte rechts runter, ein merkwürdiges Geräusch und der Hebel lässt sich nicht mehr bewegen. Was ist das denn? Dass die Kette abspringt, kenne ich, aber das nicht. Links ist eine Einfahrt. Gaby guckt, was Sache ist und bemerkt fast fröhlich: Kleinigkeit, haben wir gleich, nur der Schaltzug gerissen. Ach so, Kleinigkeit? Na gut, ich hab nix dabei, hab keine Ahnung davon und staune. Alter Schaltzug raus, neuen aus ihrer Satteltasche gezogen, eingefädelt und festgestellt, dass Campa-Züge leider zu kurz sind für die Shimano-Schaltung, schade aber auch. Und jetzt? Ich sehe mich im Kopf schon die letzten 5 km zu Fuß gehen, wäre immer noch in der Zeit, also kein Drama. Aber angenehm wäre es nicht. Ein weiterer Radler wird angehalten, in der Hoffnung auf einen Shimano-Schaltzug: Fehlanzeige. Also hilft es nur, den Kram hinten zu fixieren, so dass ich mit den drei Blättern klarkommen muss. Nun gut, immerhin kann ich weiter fahren. Ich mache mich schon mal auf den Weg nach oben, strample so weit, wie ich komme und schaffe es dann nicht mehr aus dem Pedal, plumps. Künstlerpech. Aufstehen, hoch schieben, aufsitzen und weiter geht’s. Der nächste Anstieg, vorher ausklicken, hochstrampeln, absteigen, schieben und den letzten Rest der Tour ohne Probleme bewältigen. Ohne Bastelaktion wären wir immerhin 20 Minuten eher im Ziel gewesen, vielleicht wäre es auch noch hell gewesen.

So haben wir die 1401 km um 21:30 Uhr geschafft, nach insgesamt 109,5 Stunden. Die zwei zusätzlichen Stunden haben wir also nicht benötigt, wir sind im ursprünglichen Zeitrahmen von 116:40 Stunden geblieben. Gratulationen der wartenden Niederrhein-Herren, unsere Bag-Drop-Taschen werden in Kalles Auto verfrachtet, Kontrolle, Empfang der Medaille und der Überraschungs-Tüte und ein wenig Zucker-Klau.

Was wärmeres anziehen und dann zum Hotel radeln. Alles aufs Zimmer verfrachten und das Wellness-Programm beginnt: Schmiere von Händen und Beinen abreiben mit Körperöl und Zucker, ein super Peeling! Was ich alles lernen durfte. Dann das Highlight: ein Vollbad! Aaaaaah, was für ein Genuss. Anschließend Sandwich, Bier, Joghurt aus der Überraschungstüte und noch ein Gute-Nacht-Schwätzchen.



Freitag, 31.07.2009:

Es ist noch dunkel im Zimmer, ich bin noch hundemüde, Gaby steht auf: es ist sieben Uhr, quasi mitten in der Nacht, Himmelherrgott… Aber sie hat ja Recht: wir wollen zur Jugendherberge, um die nächsten Ankömmlinge zu begrüßen. Ersten Kaffee im Bett, dann runter zum Frühstück und mit dem ungepolsterten Po wieder aufs Rad: aua. Gar nicht schön. Es folgt ein herrlich entspannter Tag: Kaffee trinken, Sandwich essen, klönen, Beifall klatschen, Sonnenbrand holen, Rad putzen und irgendwann trudelt Ivo als letzter ein. Abendessen in der Jugendherberge mit Ivo, Melita, Heather, Damon und einer Flasche Rotwein. Und dann war es das wirklich: LEL2009 ist zu Ende, wir radeln ein letztes Mal zum Hotel, aua.



Samstag, 01.08.2009:

Abschied von England: Frühstück, Räder verpacken, Taschen packen, Taxi rufen und wir lassen uns diesmal bis zur U-Bahn nach Tottenham Hale bringen. Bis King’s Cross und dann wieder zum Eurostar. Auf belgischer Seite ist das System eindeutig besser, hier herrscht Chaos. Über Brüssel nach Köln und Abschied nehmen von Gaby – best wheel mate ever. Es passt einfach. Ganz simpel. Da zitiere ich dann mal gerne.

Für mich war es wirklich eine richtig klasse Tour. Unverhofft dazu gekommen; absolut unklar, was das werden wird; naiv darauf vertrauend, dass das schon klappen wird, wenn andere mir das zutrauen. Trotz aller Anstrengung hat es richtig Spaß gemacht. Die Sturm-Passage war zwar hart, aber da wir nie in Lebensgefahr waren und unbeschadet da rausgekommen sind, dient es doch ganz hervorragend für Heldengeschichten. Einfach nur eine weitere Prüfung auf diesem Brevet. Und was ich unterwegs ja gar nicht oft genug hören konnte:
„Das ist viel härter als PBP 2007.“ Das half.


Gelernt habe ich so einiges:

- extrem kritisch sein bei der Auswahl der Wegbegleiter
- gerade zu Beginn die Pausen nicht ausarten lassen
- der Schlafsack gehört auf jeden Fall zum Gepäck
- Hosen mit unterschiedlichen Polstern auswählen
- der Tubus-Fly kann Zeit kosten und Nerven rauben
- ich sollte deutlich fitter in Sachen Technik sein
- … (mal sehen, was mir noch einfällt)



Post-LEL:
Seit Montag sind die Beine wieder in normalen Ausmaßen, Knie tun in keinster Weise weh, taten sie auch auf der Tour nicht. Po ist etwas wund, die Zehen etwas taub, aber Hände, Nacken und alles andere völlig ohne Beschwerden.

Wenn ich daran denke, wie das Ganze angefangen hat, muss ich immer wieder lachen und in den letzten Tagen ist das ziemlich häufig: an einem schmuddeligen Februartag ganz harmlos mit Peter auf dem Weg zu Gaby, in der Küche dann ihr Angebot "Wenn Du mal einen 200er fahren willst, begleite ich Dich"...
Ich danke Euch beiden.







LEL2009 in Bildern - Dank an die Fotografen:


http://brevet.bplaced.net/LondonEdinburghLondon2009/
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